Wie funktioniert Kooperation?

„Stadtentwicklung von unten“ wird von Menschen gemacht, die Urban Gardening betreiben, Restflächen und als verwahrlost wahrgenommene Räume bespielen, Kulturveranstaltungen organisieren und zu ökologischen, wirtschaftlichen und sozialen Verbesserungen im Quartier oder der Region beitragen wollen. Das geschieht nicht immer im Rahmen ihrer Profession, sondern auch als Nebentätigkeit, Ehrenamt oder gar Freizeitgestaltung. Fast immer benötigt das Vorhaben mehr als eine Person; häufig ist es das erklärte Ziel solcher Projekte, mehrere Menschen zusammenzubringen, damit sie sich austauschen, spielen, lernen, wohlfühlen. Die naheliegende Frage ist: Wie kann die Verteilung des Nutzens und der Kosten zwischen den Beteiligten gelingen, sodass das Ergebnis insgesamt effektiv und die Abläufe effizient sind? Und ist es dann auch „gerecht“?

Wir kennen diese Herausforderungen in Gruppen aus dem Alltag. Wer räumt im Büro die Spülmaschine aus? Welche Farbe soll die Wand in der Wohngemeinschaft haben? Wer geht beim Fußball mit nach hinten, um den Ballverlust aufzufangen? Auch in größeren, gesellschaftlichen Zusammenhängen geht es um die gemeinschaftliche Verteilung von Vor- und Nachteilen, etwa bei der Verteilung der Steuerlast und -verwendung. Die Abwägung von verschiedenen Interessen ist auch die Kernaufgabe der Stadtentwicklung, nach der im Ergebnis die begrenzte Ressource Boden bestmöglich und synergetisch genutzt werden soll. Für Orte des Selbermachens stellt sich die Frage, wie die Orte insgesamt so erhalten werden können, dass die Beteiligten weiterhin Vorteile durch die Zusammenarbeit genießen, ohne die gemeinschaftlichen Ressourcen, also zum Beispiel Arbeitsplätze, Verbrauchsgüter, Sauberkeit und Aufgeräumtheit, Ideen übermäßig auszubeuten.

Viele Forscherinnen haben sich mit der Frage beschäfigt, wie Kooperation in gemeinschaftlichen Situationen gelingen kann. Ein prominentes Gedankenbild hat Gareth Hardin 1969 gezeichnet, in dem Ressourcen in gemeinschaftlicher Verfügung als Allmende („commons“) bezeichnet hat. Das war (und ist) in Dörfern die Wiese, die allen Landwirtinnen zur Verfügung steht, um ihr Vieh zu weiden. Grast allerdings übermäßig viel Vieh auf der Weide, kann ab einem Punkt Keines mehr ausreichend ernährt werden. Wenn niemand von der Nutzung ausgeschlossen werden kann, aber die Ressource endlich ist, entsteht die berühmte „Tragödie der Allmende“. Hardin sagt: „Freedom in a commons brings ruin to all“. Dem Denken, dass Menschen so egoistisch sind, dass sie sich ohne Eingriffe oder Steuerung selbst ihrer Lebensgrundlage berauben, liegt auch der Entwurf eines Gesellschaftsvertrags von Thomas Hobbes (1651) zugrunde. Seiner Meinung nach braucht es eine starke staatliche Steuerung, die die Interessen der gesamten Gesellschaft durchsetzt, einen „Leviathan“. Nur so könne der „Krieg aller gegen alle“ verhindert werden.

Ronald Coase hat sich 1937 in „The nature of the firm“ gefragt, wieso sich Menschen eigentlich in hierarchischen Organisationen zusammenschließen statt als freie Individuen auf dem freien Markt die beste Kooperationslösung auszuhandeln. Er prägte den Begriff der Transaktionskosten, die immer dann entstehen, wenn Menschen sich nicht auf Normen, Regeln und Hierarchien berufen können, sondern all dies immer neu verhandeln müssen. Es sei schlichtweg effizienter, sich arbeitsteilig und weisungsgebunden in Firmen zusammenzuschließen. Er begründete damit auch volkswirtschaftliche Forschungsrichtung der Neuen Institutionenökonomik, die sich mit den Wechselwirkungen von (rechtlichen) Vereinbarungen und Wirtschaft auseinandersetzt. Mittlerweile ist unstrittig, dass vor allem die Reduzierung von Unsicherheit in Organisationen und Projekten die Wahrscheinlichkeit von Kooperation und damit auf Erfolg erhöht.

Unsicherheit muss aber nicht unbedingt durch Hierarchie und Befehlsstrukturen reduziert werden. Einen wesentlichen Beitrag leistet Vertrauen zwischen den Beteiligten. Bourdieu nennt den Aufbau wechselseitig fördernder Beziehungen „soziales Kapital“. Dieses werde vor allem durch wiederkehrende Gelegenheiten zur Kooperation aufgebaut. Robert Axelrod, ein Spieltheoretiker, bestätigt die besondere Bedeutung von „wiederkehrend“. Er ließ in einer Art Turnier Computer gegeneinander antreten, um die beste Strategie zur Lösung des berühmten Gefangendilemmas zu finden. Seine Antwort: Wenn zwei Teilnehmer nur einmal aufeinandertreffen, ist es für sie rational, sich unkooperativ zu verhalten. Wenn zwei Teilnehmer allerdings immer wieder aufeinandertreffen, ist die lohnenste Strategie, so lange zu kooperieren, bis der Gegenüber einmal nicht kooperiert. Um dann wieder zu kooperieren: „Tit for Tat!“

In Gruppensituationen, in denen gemeinschaftliche Güter (z.B. ein Gemeinschaftsgarten, oder ein geteiltes Ladenlokal, oder ein Branchennetzwerk) bearbeitet oder verwaltet werden, gibt es natürlich sehr unterschiedliche Denkweisen, wie am besten mit dem Gemeinschaftsgut umgegangen werden soll. Bei vielen Menschen bemerkt man eine der drei vorherrschenden Rationalitäten, damit das Gemeinschaftsgut nicht ausgenutzt oder vernachlässigt wird. Man müsse klare Regeln und Zuständigkeiten festlegen; Oder: Man brauche Vertrauen durch ein gutes Gruppen- und Gemeinschaftsgefühl; Oder: In einem Wettbewerb werden sich die zuverlässigsten Personen und Ideen durchsetzen; Mary Douglas und Ben Davy zeigten, dass die ausschließliche Konzentration auf eine dieser Strategien selten von Erfolg gekrönt ist. Manche Mitglieder einer solchen Gemeinschaft würden sich nicht mit der Lösung identifizieren können; die Unzufriedenheit könne leicht zur Vernachlässigung der Zusammenarbeit bis zur Auflösung der Gruppe führen. Statt einer monorationalen Denkweise fordern sie Polyrationalität, d.h. die Mischung unterschiedlicher Denkweisen und Maßnahmen.

Das ist responsive Kooperation. Die Abwendung der Allmende-Bedrohung, irgendwann werde jedes Gemeinschaftsgut von Ausbeutung oder Vernachlässigung getroffen, gelingt am besten durch eine pragmatische Mischung von Maßnahmen, die unterschiedliche Rationalitäten bedient. Elinor Ostrom hat 2009 für ihre Auseinandersetzung mit Maßnahmenkatalogen in Gemeinschaftssituationen (wie zum Beispiel regionaler Wasserversorgung) als erste Frau den Wirtschaftsnobelpreis erhalten. Ostrom identifizierte neun Design-Prinzipen: 1. Klar definierte Grenzen / 2. Deckung der Bereitstellung und Inanspruchnahme von Ressourcen / 3. Gemeinsam vereinbarte Regeln / 4. Gegenseitige Überwachung der Inanspruchnahme von Ressourcen / 5. Abgestufte Sanktionen bei Verstoß gegen die Regeln / 6. Jederzeit anwendbare Konfliktlösungsmechanismen / 7. Garantierte, mindestens teilweise Eigenverantwortlichkeit –- hier spielen die Rationalitäten der Kontrolle, der Freiheit und der Gemeinschaft zusammen. Insbesondere der gemeinsamen Regelvereinbarung und den Konfliktlösungsmechanismen kommt dabei eine gewichtige Bedeutung zu.

Wie können solche Verhandlungen gut ablaufen? Roger Fisher und William Ury beschreiben im Havard Negotiation Modell zentrale Merkmale sachbezogenen Verhandelns. Es geht um eine interessenorientierte, konstruktive und friedliche Einigung in Konfliktsituationen, bestenfalls mit einem Win-Win-Ergebnis. Auch hier gibt es wieder eine Liste mit Checkpunkten, die die Beteiligten möglichst beachten sollen: 1. Trenne die Menschen von dem Problem; 2. konzentriere dich auf die Interessen des Gegenübers, statt auf die Verhandlungsposition; 3. entwickle gemeinsam Auswahlmöglichkeiten; 4. bestehe auf objektiven Beurteilungskriterien. Das Ziel einer Verhandlung nach dem Havard-Modell ist ein Verhandlungsergebnis, dass die guten Beziehungen der Parteien nicht beeinträchtigt und beiden ermöglicht, das zu bekommen was sie brauchen (oder es fair zu teilen). Beide Parteien sollten vor der Verhandlung ihre sogenannte BATNA kennen (best alternative to a negotiated agreement), ihre nächstbeste Alternative, falls ihre Forderungen nicht komplett erfüllt werden können. Wenn die andere Partei mit faulen Tricks arbeitet, sollte das direkt angesprochen werden, bei Unsachlichkeit evtl. die Verhandlung zeitweise unterbrochen werden – und im äußersten Fall einen externen Mediator hinzuziehen.

Für kleine Konflikte in kleinen Projekten mag es übertrieben erscheinen, sich wie vor Gericht zu verhalten. Dennoch sind es vor allem diese Situationen, in denen die Menschen in Gemeinschaftsvorhaben aneinander wachsen können. Es ist wichtig, nicht den Kopf in den Sand zu stecken, sich unangenehmer Kommunikation zu verschließen. Dazu gehören auch die Empfehlungen zur gewaltfreien Kommunikation. Um Kollaboration und Kooperation effizient und effektiv zu gestalten, muss (offensichtlich) viel Aufwand betrieben werden. Das kann sich jedoch lohnen, wenn das Ergebnis der Zusammenarbeit größer ist als die Summe seiner Teile.

Jan Bunse