Wie werden aus Ideen Produkte?

Ein durchschnittlicher Mensch hat schätzungsweise pro Tag über 6000 Gedanken, die sich in ihrer Komplexität voneinander unterscheiden. Aus dem ein oder anderen Gedankengang, durch kreative Prozesse und Verlinkungen, entstehen Ideen, die vielversprechend sein können. Möchte man diese Ideen umsetzen, kommen viele oft an ihre Grenzen. Dies tritt besonders bei Ideen auf, die an eine Umsetzung hohe technische Anforderungen aufweisen, wie es bei komplexen immateriellen und materiellen Gütern häufig der Fall ist. Dann bleiben nur die Fragen übrig: „Wie kann ich dennoch meine Idee umsetzen? Wohin gehe ich am besten mit meiner Idee? Wo finde ich notwendige Unterstützung?“. In der Vergangenheit wurden diese Fragen häufig unbeantwortet gelassen, so dass vielversprechende Ideen nicht umgesetzt wurden. Durch neue soziotechnische Entwicklungen gibt es seit einigen Jahren ein exponentielles Wachstum an Orten des Selbermachens, die eine Anlaufstelle sein können, um bei einer Umsetzung von Ideen zu unterstützen. Vor Ort lassen sich in den offenen Werkstätten, FabLabs oder Makerspaces nicht nur die notwendige technische Ausstattung finden, sondern auch ein qualifiziertes Fachpersonal, welches unterstützt. Doch reicht das Vorhandensein dieser Orte aus, damit aus Ideen Produkte entstehen?

Im Labor für urbane Zukunftsfragen und Innovation, kurz LUZI, sind wir von Anfang an mit der These gestartet, dass dies nicht ausreichend ist. Bereits Steve Jobs, Mitgründer von Apple, sagte 1997 bei der Worldwide Developer Conference “You’ve got to start with the customer experience and work backward to the technology. You can’t start with the technology then try to figure out where to sell it.“ (deutsch: „Sie müssen beim Kundenerlebnis anfangen und sich zur Technologie zurückarbeiten. Man kann nicht mit der Technologie beginnen und dann versuchen, herauszufinden, wo man sie verkaufen kann.“). Obwohl seine Aussage beinahe 25 Jahre zurück liegt, bewährt sich diese Strategie bis heute. Im Verbund ist Fraunhofer UMSICHT der Frage nachgegangen, wie wir mit unseren Orten, digitalen Fertigungstechnologien und dem notwendigen Personal neue urbane Angebote, u.a. auch Produkte, durch Kooperationen oder Kollaborationen generieren können. Mit Hilfe von interdisziplinären Forschungsmethoden konnten unterschiedliche Herausforderungen für die urbane Produktion identifiziert und Forschungserkenntnisse abgeleitet werden. Der vorliegende Meta-Artikel greift einige dieser auf:

Die Orte des Selbermachens

Zu Beginn des Projektes lag ein Fokus auf den, im Verbund bereits existierenden, Orten des Selbermachens. Durch eine Verknüpfung der unterschiedlichen Orte und der dahinter liegenden Schwerpunkte, sowie durch das Zusammenführen der Elemente, die jeden Ort kennzeichnen, entstand eine ganzheitliche Vision einer Stadtteilfabrik. Die Elemente bzw. Orte können dabei zentral oder dezentral und lokal verteilt gedacht werden. Für dieses Konzept der Stadtteilfabrik wurden Geschäftsmodelle erarbeitet. Dabei gibt es nicht eine konkrete Lösung, sondern eine Vielzahl an potenziellen Lösungsmöglichkeiten. Um diese kommunikationsfähig zu gestalten, setzen wir auf Geschäftsmodell-Muster, die generell wiederkehrende Funktionsweisen von Geschäftsmodellen beschreiben. Dabei konnten wir 26 Geschäftsmodell-Muster als am vielversprechendsten für zukünftige Stadtteilfabriken identifizieren. Ein Geschäftsmodell-Mustergenerator beherbergt das Potenzial in zukünftigen Workshops bei der Ideenfindung für neue Geschäftsmodelle oder Produktideen zu unterstützen. Doch lassen sich Produktideen jetzt einfacher umsetzen?

Produkte der Stadtteilfabrik

Hinter den meisten Orten des Selbermachens im Ruhrgebiet lassen sich Vereinsstrukturen oder institutionalisierte Bildungsstrukturen vorfinden. Eine hohe Professionalisierung sowie unternehmerisches Denken wird nicht überall als Zielsetzung genannt, genauso wie das Angebot von Dienstleistungen an externe Unternehmen oder Kunden. Doch wäre eine urbane Produktion mit den vorhandenen Fertigungstechnologien möglich? Bei unserer Betrachtung der digitalen Fertigungstechnologien an Orten des Selbermachens stellten wir fest, dass diese nicht denen entsprechen, die vornehmlich bei der Herstellung in digitalen dezentralen Produktionsstätten in Bezug auf „Consumer Products“ vorzufinden sind. Besonders die Nachbearbeitung und Oberflächengüte wird bis dato nur sekundär an diesen Orten adressiert, da der Fokus bisher primär auf dem Prototyping liegt. Dies geschieht eher auf Meta-Ebene der Selbstoptimierung durch Wissen und Kompetenzen durch eine „Do it yourself“ Mentalität, statt das Prototyping weiter im Sinne einer urbanen Produktion zu verfolgen. Dennoch beherbergen diese digitalen Fertigungsstätten das Potenzial, dies zukünftig grundlegend zu ändern. Die DEZENTRALE startete ihre erste größere Produktion mit dem Beginn der COVID-19-Pandemie. Über 500 Gesichtsschilder wurden mittels 3D-Drucker und Lasercutter produziert. Eine Schichtproduktion mit einer umfangreichen Nachbearbeitung stand auf der Tagesordnung und nahm im gesamten Produktionsprozess unverhältnismäßig viel Zeit ein. Die vollbrachte Produktion zeigte, dass eine urbane Produktion möglich ist, machte jedoch gleichzeitig deutlich wie nötig eine Reduktion bzw. eine Automatisierung der arbeitsintensiven Nachbearbeitung ist.

Im Reallabor wurde getestet, analysiert, eigene Ideen entwickelt, iteriert, (gemeinsam) produziert, diskutiert und erneut iteriert. Wir haben uns Produkte angesehen, die in der Nachbarschaft, unterstützt durch neue digitale Fertigungstechnologien, zukünftig erneut lokal gefertigt werden könnten. Durch die Integration von Nutzer*innen in den Ideengenerierungs- oder Gestaltungsprozess, wie durch neue, bis dato nicht mögliche Individualisierungsangebote, konnten Mehrwerte identifiziert und geschaffen werden. Zu Beginn haben wir vier konkrete Nachbarschaftsprodukte differenziert betrachtet und diese Ideen in greifbare Produkte verwirklicht: Brille, Schuh, Schmuck und Schuhe. Im Laufe des Vorhabens konnten diverse Nachbarschaftsprodukte über verschiedene Produktcluster identifiziert werden. Den Möglichkeiten der digitalen Fertigung sind bei der Herstellung fast keine Grenzen gesetzt, dennoch sind welche Vorhanden und müssen für den jeweiligen Bereich diskutiert werden. Spätestens bei der Umsetzung und demVertrieb werden lokale Akteure, Kreative, das Handwerk und Händler benötigt.

Lokale Kundenerlebnisse schaffen

In Workshops hat das Projektteam mit Akteur*innen die jeweiligen Produkte und Herausforderungen digitaler Fertigung diskutiert. Durch die individualisierten Subjektivierungsprozesse, die meist aus dynamischen Eigenperspektiven entstehen, ist eine Objektivierung schwer umzusetzen. Eine einheitliche Kommunikation fehlte. Besonders bei der Kommunikation darüber, wie eine Umsetzung aussehen oder gelingen kann, wurden häufig (Existenz-)Ängste geschürt. Benötigt die Zukunft das Handwerk noch? Das LUZI-Team sieht für das Gelingen einer zukünftigen urbanen Produktion lokale Akteure, Kreative, das Handwerk und Händler als unabdingbar an. Dies zu kommunizieren, ist an mehreren Stellen nicht gelungen. Um dies für die darauffolgenden Workshops besser zu adressieren, wurden neue Formate analysiert und Konzepte erprobt, die die Veränderung durch den Einfluss neuer Kooperationen oder Kollaborationen visualisieren können.

Wie kann die Zusammenarbeit zukünftig aussehen? Was ändert sich für Kund*innen bzw. den Nutzer*innen? Wer übernimmt welche Aufgabe, wenn lokal produziert wird? Welche Technologien benötigen wir für eine Umsetzung im Vergleich zur heutigen Lösung? Um die Komplexität und die Veränderung zukünftig zu kommunizieren, haben wir eine Customer Journey Modeling Language entwickelt, die bei der Visualisierung unterstützen soll. Durch die Visualisierung können frühzeitig Herausforderungen identifiziert, Veränderungen aufgezeigt und neue Kooperationen oder Kollaborationen sichtbar gemacht werden. Bei kleinen Workshops und bei einem Creative.NRW Workshop konnten diese bereits getestet werden. Allen steht es frei bei github neue Icons unter der Creative-Commons-Lizenz zu ergänzen und die Optionen für eine Customer Journey in Verbindung mit Orten des Selbermachens wachsen zu lassen.

Um Kund*innen bzw. Nutzer*innen vollständig zu integrieren, müssen Softwarelösungen optimiert bzw. neue Lösungen geschaffen werden. In FabLabs und Makerspaces wird häufig auf Open Source gesetzt, gelegentlich wird auch kommerzielle Software genutzt. Doch nicht jede*r Nutzer*in möchte eine umfangreiche Einarbeitung in die zu verwendenden Programme. Die Hürden sind hoch, die Zeit für den hohen Lernaufwand fehlt und das Interesse ist häufig zu gering. Doch wie können Kund*innen bzw. Nutzer*innen andernfalls integriert werden? Um Produktvieltfalt zu generieren, wird bspw. bei der Mass Customization ein Modell entwickelt bei dem nur vorgegebenen Parameter veränderbar sind. Um jedoch Individualisierung und Kreativität der Kund*innen bzw. Nutzer*innen  produktiv zu integrieren, wäre eine solche Lösung nicht ausreichend. Aus diesem Grund erforschten wir die Optionen der Gestaltung einer multisensorischen Interaktion für die Produktindividualisierung. Das Konzept, welches wir verfolgten und umsetzten, ermöglichte neue Interaktionsmöglichkeiten bei der Produktgestaltung, ein schnelles Aufbauen von Materialverständnis und dies zugleich bei einer hohen Individualisierungsfreiheit. Dieser multisensorische Interaktionstisch für die Produktindividualisierung könnte ein zukünftiges Schlüsselelement einer nutzerzentrierten Produktentwicklung während des Kund*innen-Erlebnisses werden.

Fazit

Ein wichtiges Ergebnis des Projektes ist die Erkenntnis, dass alle lokalen Akteure, Kreative, Handwerk und Händler gemeinsam im Diskurs die Zukunft gestalten möchten. Der Wunsch nach Mitgestaltung, auch für und mit Kund*innen und Nutzer*innen, ist in allen Themen und aus allen Blickwinkeln gleichermaßen zu identifizieren. Durch die Nutzer*innen-Einbindung wird die These gestärkt: Wenn Kund*innen und Nutzer*innen frühzeitig in die Produktgestaltung oder -fertigung integriert werden, kann eine persönliche Verbindung zu dem Produkt aufgebaut werden. Aus Nachhaltigkeitsperspektive ist die Verlängerung bzw. Erweiterung der Nutzungsphase das primäre Ziel zur Reduzierung des Energie- und Ressourcenverbrauchs. Durch die persönliche Verbindung zum Produkt werden intrinsisch motiviert eher R-Strategien wie Repair oder Reuse zielführend adressiert. Dazu kann eine Professionalisierung der Orte des Selbermachens beitragen, die bei dieser Umsetzung unterstützen könnten. Bei Produkten wie auch den Orten selbst können durch neue Kooperationen oder Kollaborationen weitere Mehrwerte für die Region geschaffen werden.

Die ersten Schritte, wie eine Idee zum Produkt werden kann, wurden im Rahmen von LUZI identifiziert, erprobt und untersucht. Im Idealfall lässt sich die dafür notwendige Infrastruktur lokal finden. Die Elemente, die das lokale Wirtschaften und Konsumieren stärken können, haben wir vereinfacht und zusammengefasst in einer zentralen Visualisierung in der Form eines Wimmelbildes einer Stadtteilfabrik umgesetzt: