Softwarelösungen: Was die Orte noch brauchen!

Softwarelösungen: Was die Orte noch brauchen!

Bei der Betrachtung von urbanen Produkten, die mittels digitaler Fertigungstechnologien hergestellt werden sollen, kommt zeitnah die Frage nach der 3D-Modellvorlage. Seit 2013 betreibt Fraunhofer UMSICHT mitten in Dortmund ein FabLab, eine offene Werkstatt. Nach unzähligen Gästen sowie jahrelanger Erfahrung durch den Betrieb zwischen 2013 und 2021, ist eine der größten Herausforderung für die Nutzenden die Erstellung eines 3D-Modells für die digitale Fertigung, besonders für die additive Fertigung. Die meisten Gäste verwendeten Vorlagen aus dem 3D-Druckvorlagen-Portal „Thingiverse„. Bei individuellen Bedürfnissen und Herausforderungen reichte die Nutzung des Portals jedoch nicht mehr aus und die eigenen Modelle mussten erstellt werden. Im Rahmen des Projektes haben wir u.a. nach neuen bzw. alternativen Lösungen für die Erstellung von 3D-Modellen gesucht. Besonders in den letzten Jahren hat sich das Softwareangebot grundlegend verändert. Von Weiterentwicklungen bestehender Softwarelösungen (besonders „Blender“) bis hin zu kompletten Neuentwicklungen, die eine neue Art des Konstruierens ermöglichen, wie beispielsweise „Shaper3D“ auf dem Apple iPad in Verbindung mit einem Apple Pencil oder „Tinkercad“ mit 3D-Entwürfen, Elektronik, Programmierung und AR.

Anforderungen an die Software

Die Auswahl an Software hängt signifikant von den Nutzenden bzw. der repräsentativen Gruppe ab. Das Angebot muss schlussendlich kompatibel zu den Lebenswelten der Zielgruppe sein, bei der jede Gruppe grundlegend unterschiedliche Anforderungen mitbringt. Die Art und Weise, wie Modelle entstehen, lässt sich aktuell in zwei Verfahrensweisen beschreiben: Der normale und am häufigsten vorkommende Nutzende erstellt die gewünschten Objekte mit einem graphischen Interface und interagiert mit dem vorliegenden Modell. Hingegen tendiert der programmieraffine Nutzende eher zum Code-basierten Erstellen von Objekten. Besonders letzte Lösung bietet sich für parametrische Designs an.

Viel Potenzial wird allgemein im Bereich des generativen Designs erwartet. Gewichtsreduzierungen durch optimale Auswahl an Einsparungen beim Material bei Beachtung wirkender Kräfte. Jedoch sind die Softwarelösungen noch eingeschränkt in ihrer Anwendung oder größtenteils kompliziert, weil Abläufe sehr individuell gestaltet werden und dazu repetitiv verinnerlicht werden müssen. Dadurch ist es kaum möglich Angebote zu generieren, die bei neuen Nutzenden in kurzer Zeit ein erfolgsversprechendes Erlebnis garantieren. An Orten des Selbermachens wie der DEZENTRALE in Dortmund, dem FabLab von Fraunhofer UMSICHT, kam es in der Vergangenheit zu viel Abneigung bei den Gästen. Der hohe Lernaufwand, die steigende Komplexität bei bspw. parametrischen Designs,  hatte eine abschreckende Wirkung auf Gäste im Zuge der eigenen Erstellung , somit auch der eigenen Umsetzung. Auch zukünftig werden neue Gäste einen höheren Lernaufwand betreiben müssen, denn eine besonders niederschwellige Softwarelösung für das Erstellen von 3D-Modellen konnte nicht identifiziert werden.

Beispiel: Softwarelösung für individualisierte Brillen

Ein großer Vorteil der additiven Fertigung ist, dass jedes Teil individuell sein kann ohne hohe Zusatzkosten zu verursachen. Doch während Individualisierung für die Fertigung kaum eine Herausforderung darstellt, benötigt das digitale Modell meist eine aufwändige händische Anpassung und erfordert Wissen im Umgang mit CAD-Programmen. Dieser Prozess lässt sich weitestgehend automatisieren mit Hilfe von parametrischem Design. Am Beispiel einer Brille hat Fraunhofer UMSICHT ein solches parametrisches Modell entwickelt, um das Potential des parametrischen Designs aufzuzeigen. Einige CAD-Programme bieten Funktionen zur Parametrisierung an, doch meist nur rudimentär und oft entstehen so keine konsistenten Modelle. Das von uns verwendete Programm ist Grasshopper für Rhino. Grashopper ist ein Tool zum grafischen Programmieren eines 3D-Modells in Rhino. Neben dem Manipulieren des Modells über Schieberegler, erlaubt Grasshopper auch den Zugriff auf externe Datenbanken und sogar eine Integration in Webseiten über den Export als Python-Code. Die Entwicklung eines Parametrischen Modells ist wesentlich aufwändiger als normale 3D-Modelle, bieten jedoch die Möglichkeit einer zeitnahen Anpassung. Bei unserem Beispiel der Brille müssten dem Kunden nur die Maße abgenommen werden, sodass sich der Kunde viele verschiedene Modelle in AR/VR anschauen und aussuchen, nach Wunsch in der Form noch verändern und direkt voll angepasst an seine Maße drucken lassen könnte. Dabei benötigen weder der Kunde noch der Optiker tieferes Wissen im Umgang mit CAD-Programmen. Da die digitalen Modelle unbegrenzt vorgehalten und reproduziert werden können ist auch eine Reparatur jederzeit möglich.

Individualisierung und Interaktion bei der Gestaltung

In Workshops und durch den Austausch mit dem Handwerk, Händlern und Kreativen wurde das Thema der Individualisierung anhand unterschiedlicher Produkte diskutiert. Besonders die additive Fertigung mit ihren Freiheitsgraden und der Möglichkeit der Produktion der Losgröße 1, könnte hier einen Lösungsansatz darstellen. Wir alle Menschen unterscheiden uns. Die Nase, die Augenabstände, die Augenbrauen aber auch die Kopfform. Dies stellt Optiker häufig vor eine Herausforderung, die passende seriengefertigte Brillenfassung zu finden. Zugleich hat der Kunde immer mehr den Wunsch, die eigene Kreativität oder den eigenen Bedürfnissen hinsichtlich Produktindividualisierung zu befriedigen. Doch wie könnte so etwas umgesetzt werden?

Mit dieser Frage hat sich Fraunhofer UMSICHT auseinandergesetzt und nach neuen interaktiven Möglichkeiten gesucht, um weiter von einer Produkt-Dienstleistungs-Gesellschaft durch neue Erlebnisse in der Produktgestaltung mit dem Nutzenden neue Produkte für die Produkt-Erlebnis-Gesellschaft zu entwickeln. Dabei geht es u.a. nicht mehr primär um das Produkt, sondern auch um die Umgebung, die es beim Prozess mit einbezieht, den Lebensstil und die Gefühlswelt des Nutzenden miteinzuschließen. Durch das Erlebnis kann ein bleibender Eindruck im Gedächtnis bleiben, welches mit einem Gefühl verknüpft werden kann.

“Mit anderen Worten, das offensichtlichste Merkmal des erlebnisorientierten Produktdesigns besteht darin, das Thema des Produkts hervorzuheben, so dass der Benutzer ein Erlebnis hat, wenn er mit dem Produkt interagiert, was im Wesentlichen bedeutet, dass das Produktdesign erlebnisorientiert und interaktiv ist und die Sinne, den Verstand und die Emotionen des Benutzers vollständig anspricht.” Besonders durch die Unterstützung von Yaru Gürster ist eine Gestaltungsarbeit der multisensorischen Interaktion für die Produktindividualisierung entstanden. Dabei ist ein erlebnisorientiertes Produktdesign entstanden, welches Emotionen weckt, ein Erlebnis für den Nutzenden schafft und ihn so in den Designprozess mit einbezieht. Dadurch entsteht eine Beziehung zum Produkt im Designprozess, was wiederrum eine positive Wertschätzug des Produktes zur Folge hat.

Der Lösungsansatz untersucht die Interaktion an der Schnittstelle Digitalität und realem Raum, tangiert jedoch noch weitere Bereiche durch die multisensorische Interaktion, wie sensorische Rückmeldungen und Interaktionsprozesse. Doch warum eine physische Interaktion und nicht alles digital gestalten? Noch vor einigen Jahrzehnten wurden Interfaces zu den Nutzenden physisch gestaltet. Mit der Entwicklung der Touchscreen sind physische Tasten, Knöpfe, Drehregler usw. jedoch immer häufiger unattraktiv für den Interaktionsprozess geworden.

Um die Interaktion zwischen Menschen und Maschine zu optimieren, wurde der multisensorische Interaktionstisch für die Produktindividualisierung geschaffen. Es soll u.a. ein Verständnis für die Nutzung von Material und ihre Unterschiede bieten. Durch haptische Elemente, die mit dem Touchscreen interagieren können, werden neue vielfältige Interaktionsarten implementiert. “Das Gleichgewicht zwischen der realen Welt und der datenbasierten Welt wird erreicht, wenn physische Interaktionen genutzt werden, um Nutzer, die mit mehreren Identitäten in die digitale Welt eingetaucht sind, in die atomare physische Welt zurückzubringen, um ein hohes Maß an Integration von Körper und Geist zu erreichen.”, sagt Yaru Gürster abschließend über ihre Arbeit. Die folgenden Bilder geben einen kleinen Eindruck von dem geschaffenen Lösungsansatz: