20 x Wandelbar – eine Erfahrungssammlung

Ein Format zum Mitmachen

2019 haben wir im Rahmen der vorbereitenden Laborarbeit das Format „Wandelbar“ erfunden. Es sollte fern von Seminaren, Tagungen und Workshops ein offenes Feierabendformat für den Union Gewerbehof werden, um durch den spontanen Austausch verschiedener Berufsgruppen, Kooperationen untereinander zu fördern. Die unterschiedlichen Perspektiven und Problemdefinitionen der Teilnehmenden sollten im lockeren Austausch untereinander zu „guten Lösungen“ für gemeinsame Ideen oder Herausforderungen führen.

Unter dem Motto  „An der Theke kann man die Zukunft vielleicht nicht vorhersagen, aber neu erfinden!“ haben die Urbanisten die Hofgemeinschaft und die Menschen im Unionviertel im Dezember 2019 das erste mal zur Wandelbar eingeladen. Das Ziel hieß: Ideen Einzelner kollaborativ weiterentwickeln. Die Kernidee lautete: In formloser und inspirierender Atmosphäre stoßen die Personen aufeinander, lernen sich und Gemeinsamkeiten kennen und entdecken Möglichkeiten zur Zusammenarbeit. Der einzige Input von Luzi sollte dabei sein:

  • Raum, Infrastruktur und Atmosphäre, die eine Offenheit und Spannung generiert
  • Matching, aktive personenbezogene Netzwerkarbeit, um Menschen mit ähnlichen Ideen, Problemen, Ansichten etc. zu „verkuppeln“
  • besondere Theke, nette Ansprache und anregende Getränke, um einen ersten Ankunftsort zu inszenieren
  • Skribble-Tisch für den schriftlichen Austausch der Teilnehmenden untereinander, auch um Inhalte clustern zu können und Matchings zu eruieren
  • Kontaktbox für „Mitmacher:innen gesucht“ – Zettel, um Teilnehmende im Anschluss kontaktieren zu können

Zur angedachten Zielgruppe gehörten alle Menschen, die Lust auf Zusammenarbeit, Austausch und Begegnung haben. Insbesondere wurde dabei an „Visionär*innen, Realist*innen und Weltverbesserer*innen, mit denen wir nachhaltige Urbanität neu denken und Ideen zu ökologischen, sozialen und wirtschaftlichen Zukunftsfragen austauschen wollten“ gedacht. „Eingeladen sind alle Menschen, die an einer lebenswerten Stadt mitwirken wollen und Gleichgesinnte suchen.“ (Zitate aus dem Einladungstext)

Unsere Idee: Menschen mit Ideen und bestimmten Fragestellungen schließen sich zusammen und entwickeln gemeinsam Projekte und Lösungen

Aktiv gesucht haben wir anfangs im Kernbereich des Labors, also im Union Gewerbehof und im Umkreis der Urbanisten und der Dezentrale. Als inspirierenden Raum für den Austausch nutzten wir die Werkhalle, die wir mit einer Bar und Sitzelementen aus Upcyclingmaterialien ausgestattet haben.

Ein erster Test im November 2019, bei dem wir herausfinden wollten, wie man es schafft, die Gedankenwelt Einzelner transparent zu machen, Anknüpfungspunkte bei Anderen erkennt und damit „Matchings“ erzeugen kann, hat gut geklappt, so dass wir im Folgemonat offiziell gestartet sind. Die Ansprache erfolgte über Webseiten und Social Media-Seiten der Projektpartnerinnen, über luzi.ruhr sowie über persönliche Einladungen.

Ab dann gab es jeden zweiten Donnerstagabend im Monat die Wandelbar.

Zur Wandelbar kamen viele Studierende und Selbständige, aber auch interessierte Menschen aus zivilgesellschaftlichen Initiativen sowie aus größeren Unternehmen vorbei und neue Verbindungen untereinander konnten hergestellt werden. Die angedachte und bewusst angesprochene Zielgruppe, Menschen aus dem Union Gewerbehof, waren jedoch kaum anwesend.

Die Themen kreisten meist um Bereiche, die auf der Nachhaltigkeitskonferenz im September 2019 im Depot und die Themen, die im Luzi-Kickoff im November 2019 in der Werkhalle bereits genannt wurden: Klima, Mobilität, Bildung und Ernärung. Viele Menschen kamen auch in die Wandelbar um einfach mal zu schauen, welche Projekte aktuell laufen und wie man sich andocken kann.

Immer wieder kam die Frage auf: In welchen bestehenden Arbeitsgruppen und Projekten kann ich mitmachen?

Aktionsgebunden und nicht zu stark verpflichtend – das wurde in der Wandelbar sichtbar – war der Kern der Überlegungen von vielen Menschen, die starten möchten, sich für die Stadt der Zukunft zu engagieren. Deswegen wurde in der Wandelbar viel gesprochen, aber doch recht wenige Ideen konkretisiert und zu Projekten gesponnen. Die Menschen kamen meist nicht mit konkreten Ideen, sondern mit einem unkonkreten Bedürfnis sich gemeinwohlorientiert zu enagagieren, ohne genau zu wissen wie und wo. Diese Erkenntnis des Bedarfs der Menschen, einen ersten Anlaufpunkt für eigenes Engagement nutzen zu können, bestätigte sich bei jedem Treffen bis zum Ende der Wandelbar im September 2021.

Die Entwicklung und Unterstützung von neuen Projekten konnte initiiert werden

Auch wenn es oft nicht das Hauptanliegenden der Menschen war neue Projekte anzustoßen, sind durch die Interessensüberschneidungen einige Kooperations- und Projektideen entstanden, die gemeinsam mit dem LUZI Team als eigene Projektstränge weiterverfolgt wurden:

  • Schaffung nachhaltiger Bildungsangebote insbesondere für Schüler*innen in Kooperation mit dem BUND und verschiedenen Schulen
  • Entwicklung innovativer Bildungsinstrumente für die Stadt der Zukunft anhand eines Methodenkoffers
  • Stärkung der bürgerlich-migrantischen Zusammenarbeit in Kooperation mit dem Haus der Vielfalt
  • Nutzungsmöglichkeiten digitaler Tools und Strukturen vor Ort zur Weiterarbeit unter Corona
  • Verbesserung der Beteiligungsstrukturen bei Großprojekten am Beispiel der Internationalen Gartenausstellung 2027
  • Entwicklung von Netzwerkstrukturen und eines Festivals zur kooperative Landschaftsentwicklung in der Metropole Ruhr
  • Erleichterung des Selbermachens in Kooperation mit dem Verbund offener Werkstätten und im Austausch mit Anbieter*innen
  • Weiterentwicklung von Wurmkomposten und wasserspeichernden Hochbeeten für und mit Urban Gardening Projekten
  • Austausch, Analyse und Netzwerkarbeit zum Thema nachhaltige Ernähung in Zusammenarbeiot mit verschiedenen Initiativen
  • Konzeption von Orten des Selbermachens am Beispiel verschiedener Leerstände und Entwicklungsstandorten

Diese Projekte wurden während der gesamten Projektlaufzeit von Luzi weiterentwickelt. Einige wenige konkrete Ideen wurden trotz Unterstützung aus dem Labor für urbane Zukunftsfragen und Innovation in Form von Beratungsterminen, Netzwerkaufbau, Konzepthilfe, Fördermittelsuche und der Analyse notwendiger nächster Schritte nicht weiterverfolgt bzw. derart qualifiziert, um Möglichkeiten zur Realisierung zu schaffen. Andere Projektideen wurden laut Rückmeldungen der Teilnehmenden nicht weiterverfolgt, da die zur Verfügung stehende freie Zeit nicht ausreiche, um den Vorhaben aktiv nachzugehen. Dazu gehörten beispielsweise

  • Virtuelle Hofführung und Einrichtung eines digitalen Hubs für das Unionviertel
  • Internetseite für MAKER-Recipies, die Wissen des Selbermachens teilt
  • Weiterentwicklung der Themen Bürger*innen-Energie und Mobility-Hubs

Auch kamen viele Menschen nur einmal in die Wandelbar, obwohl ihnen das Format auf Nachfrage gefallen hat. Ihnen reichte das Kennenlernen von Möglichkeiten und ein Besuch aus, um mit Informationen ihre eigenen Projekte selbständig weiterzuentwickeln. Dazu gehörte beispielsweise die Kontaktvermittlung zur Stadt Dortmund zur Umsetzung eines Pachtvertrags für ein urbanes Gartenprojekt oder die Kontaktvermittlung zu möglichen Akteuren bei Umsetzung eines Projekts zur temporären Autofreiheit eines Straßenzuges.

Es braucht einen Treffpunkt: Menschen möchten Dinge bewegen und sich austauschen, um die komplexen Inhalte besser zu verstehen

Die oben genannten Ergebnisse und Erkenntnisse aus der Wandelbar stimmen uns nicht verwundert, sondern bestätigen uns im Denken, dass es viele tolle Menschen gibt, die Interesse haben, etwas zu bewegen. Das Zusammenkommen von Menschen beflügelt und inspiriert. Aus diesem Grund halten wir es für sehr wichtig, dass es in einer Stadt Anlaufpunkte gibt, zu denen ein Zugang niederschwellig möglich ist, wo man sich kennenlernen und austauschen kann: Eine ungezwungene Möglichkeit, herauszufinden, wie und an welche Aktivitäten man sich andocken kann.

Corona behinderte, aber verhinderte die Treffen nicht

Bereits die vierte Ausgabe der Wandelbar musste wegen der pandemischen Lage im April 2020 digital stattfinden: „Also schnappt euch was zu trinken und euer Headset, setzt euch aufs Sofa oder an den Küchentisch und loggt euch ab 19 Uhr in die Konferenz auf dem Urbanisten-Server ein“ (Auszug aus dem Einladungstext). Leider nutzte diese – bis dahin für viele noch neue – Kommunikationstechnik nur eine wissenschaftliche Mitarbeiterin der tu Dortmund, um mit uns ins Gespräch zu kommen. Aus diesem intensiven Austausch sind zwar Ideen entstanden, die weiterverfolgt wurden, aber wir waren sehr froh, dass die Teilnehmendenzahlen des digitalen Formats in den folgenden Monaten anstiegen.

Um für das neue digitale Format zu werben, wurde die Öffentlichkeitsarbeit breiter aufgestellt und insbesondere Menschen in Dortmund und dem Ruhrgebiet angesprochen. Durch den Wefgall des räumlichen Treffens vor Ort und damit der fehlenden Atmosphäre der Werkhalle konnte sich der räumliche Radius der Teilnehmenden problemlos erhöhen, was Luzi als Chance begriffen hat. Die Teilnehmenden kamen fortan von immer weiter weg, nicht mehr nur aus dem Quartier. Die gemeinsame Klammer waren weiterhin ähnliche Herausforderungen und die gemeinsame Region Ruhr.

Dreimal digital, dann mit Abstand im Garten, dann wieder digital…

Zwischen Juli und Oktober 2020 konnten wir uns im Urbanistengarten mit einer begrenzten Anzahl an Teilnehmenden wieder vor Ort zusammensetzen. Und es wurde sehr deutlich, dass die Wandelbar ein Format des flexiblen Austausches in spontan sich bildenden Kleingruppen ist, die in kreativer Atmosphäre Gemeinsamkeiten untereinander entdecken und von uns in Möglichkeiten der Weiterenwicklung und Andockung ihrer Anliegen beraten werden. Auch kamen wieder mehr Menschen zu uns, als in den digitalen Formaten zwischen April und Juni.

Seit November 2020 fand die Wandelbar bis Juni 2021 coronabedingt wieder digital statt und wurde moderiert, so dass jedes Anliegen oder jede Idee auch Gehör fand. Verstärkte Hinweise in den sozialen Medien führten zu mehr Anmeldungen. Bei den Teilnehmenden war das Interesse an den Aktivitäten der Urbanisten und Mitmachmöglichkeiten in dieser Phase stark vorhanden – auch wegen der fehlenden Möglichkeiten durch Corona in den Austausch mit anderen zu kommen. Aber dieses noch mögliche Format war alles andere als ein bunter Austausch jede*r mit jede*m an der Theke, so dass es nicht verwundert, dass es kaum geknüpfte Kontakte gab, die im Nachgang zur Wandelbar bestehen blieben. Abschließend können wir durch die Auswirkungen von Corona auf die Wandelbar folgende Erkenntnisse ziehen:

  • Menschen zum digitalen Austausch zu bewegen war schwierig. Es war viel persönliche Ansprache notwendig.
  • Eine Moderation digital war notwendig, da die Menschen in einem Gruppen-Talk nicht selbst miteinander ins Gespräch kommen.
  • Die meisten Teilnehmenden waren nur einmal anwesend, man kommt nach dem Kennenlernen und der Information kein zweites Mal.
  • Wenn konkrete Themen digital angeboten werden – anstatt ein loser Austausch – ist größeres Interesse zu verzeichnen gewesen.
  • Der Ablauf der digitalen Wandelbar war immer sehr ähnlich: Vorstellung Besucher:innen, Vorstellung Urbanisten, aktuelle oder mitgebrachte Themen, Rückfragen, Sammlung von Wünschen/Bedarfen, Ende.
  • Es stellt eine Herausforderung dar, digital alle Besucher:innen gleichermaßen einzubinden und in ihren Themen abzuholen, da in einem digitalen Raum keine Parallelgespräche stattfinden können.

Abschluss an einem besonderen Ort im öffentlichen Raum

Zum Ende des Reallabors wurde die Wandelbar im September 2021 unter der Mallinckrodtbrücke am Emscherradweg aufgebaut und alle Teilnehmenden seit November 2019 eingeladen. In mehreren Kleingruppen und festgehalten an einem Brainboard wurde zu kaltem Städtebräu naturtrüb über die vergangenen Monate resümiert und weitergedacht: Wie können Ideen aus der Bevölkerung verstärkt Unterstützung und Umsetzung in der Entwicklung der Stadt der Zukunft erfahren und Netzwerke auch nach LUZI-Projektende aufrecht erhalten bleiben? Eine einfache Antwort auf diese große Frage konnte an diesem Abend leider nicht gefunden werden.