Dornröschenschlaf oder Produktion einer Schrottimmobilie?

Leerstände zu sichern und zu erhalten funktioniert am besten durch Belebung. Das zeigen viele Beispiele in vielen verschiedenen Städten. Das sagen Polizei und Feuerwehr, die bei Problemen mit Leerständen gerufen werden. Vandalismus lässt sich nur verhindern, wenn Menschen vor Ort sind und erlebbar wird, dass etwas passiert. Eine sozial bedenkliche Nutzung durch Hauswächter meinen wir damit explizit nicht. Wir wollen Nachbarschaft kulturellen Freiraum ermöglichen, Orte im Umbruch kreativen Unternehmen und Kunstschaffenden für besondere Anlässe zur Verfügung stellen. Gemeinsam mit Profis und kleiner finanzieller Unterstützung können Brandschutz und anderen Maßnahmen zivilgesellschaftlich organisiert und umgesetzt werden. Wir wollen den Bestand, die Baukultur, das Besondere eines Ortes erhalten und prozessbetont umnutzen und damit Zukunft schon im Jetzt sichtbar machen. Diese Phase 0 ist der Beginn einer jeden Transformation und kann maßgeblich eine Standortentwicklung beeinflussen.

Eine Belebung von Leerständen halten wir für legitim. Leider ist sie schwierig legal umzusetzen. Aber geht nicht, gibts nicht! Es gibt immer vertretbare Lösungen um identitätsbehaftete Räume zu sichern. Zukunftspläne und große Investitionen benötigen Zeit. Diese Zeit kann eine Belebung geben und gewährleisten, dass die Immobilie in ihrer Substanz und Funktionalität erhalten bleibt. Im Rahmen der Möglichkeiten können Pioniere Nutzungen testen, die Potenziale des Standorts erfahrbar machen und eine Diskussion ermöglichen, wie Zukunft vor Ort aussehen kann.

Stellwerk 62

In der Realaborphase des LUZI-Projekts konnten wir gemeinsam mit verschiedenen Bereichen der Stadt Dortmund, der Fachhochschule Dortmund, der Eigentümergesellschaft Thelen Gruppe und kreativen Menschen aus der Zivilgesellschaft am Stellwerk 62 erproben, welche Schwierigkeiten in der Kommunikation und Kooperation bestehen, um

a) einen Leerstand vor dem Verfall zu schützen und
b) kooperativ Zukunftsideen für die Umnutzung zu entwickeln.

Das erste Mal sind wir Mitte Februar 2020 mit dem Stellwerk in Berührung gekommen. Eine Ortsbesichtigung, die Sichtung der Grundrisse, erste Vandalismusschäden und deren Beseitigung sowie verschiedene Gespräche mit Stadtverwaltung und Besicherungsunternehmen führten zu einer Ideenskizze (Erstellung: 2/20-5/20), die im Juli 2020 von den Urbanisten in die Ruhr Academy eingebracht wurde. Daraufhin wurden Gespräche mit der FH Dortmund geführt und ein gemeinsames Vorgehen der involvierten Akteure vereinbart. Aus dieser Zielvorstellung wurde ein Antrag unter dem Motto „Neues Miteinander“ (Stadtverwaltung, Eigentümergesellschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft) entwickelt, um die Idee mit finanziellem Backround auszustatten.

In weiteren Gesprächen mit Stadtverwaltung und Ruhr Academy Konsortium wurde deutlich, dass sich das Stellwerk eignet, die städtischen Beteiligungsmaßnahmen im Smart Rhino Innovationsraum zu beherbergen und zu beflügeln. Da der Antrag „Neues Miteinander“ nicht zur Förderung vorgeschlagen wurde, wurden bei der Eigentümergesellschaft weitere Vorschläge zur Belebung (Außenraumnutzung Innovative Cititzen Festival, kleine kreative Gesprächskreise) und Übernahme von Unkosten der Sicherung und Instandsetzung (Gas, Brandschutz, Schließsystem u.a.) durch die Zivilgesellschaft eingereicht, um das Stellwerk weiterhin zu sichern und für zukünftige Nutzungen zu erhalten. In der Ruhr Academy wurden im Herbst 2020 Ideen der Beteiligung der Stadtverwaltung und experimentellen Stadt diskutiert, um mögliche gemeinwohlorientierte Perspektiven für den Innovationsraum Smart Rhino zu sammeln.

Zum Jahresbeginn 2021 haben wir bei der Ruhr Academy Steckbriefe eingereicht, um durch verschiedene vorhandene und neue Projekte die Sicherung und Weiterentwicklung des Standorts zu befördern (Containopel u.a.). Danach wurde es leise um die Prozesse Smart Rhino, da auf Informationen der Landesebene für das weitere Vorgehen gewartet wurde. Im Mai 2021 sind die Urbanisten ehrenamtlich kooperativ in den Besicherungsauftrag eingestiegen, da die Freiraumpflege immer aufwendiger wurde und ein gepflegtes Bild des Leerstands zur Besicherung zwingend notwendig erschien.

Durch Personalwechsel, Notstand in einem anderen Projekt und die Kommunikation in der AG Zwischennutzung im Unionviertel endstand neue Energie, die Weiterentwicklung des Stellwerks auch außerhalb von Fördermitteln voranzutreiben. Daraufhin hat das Labor für urbane Zukunftsfragen und Innovation im September 2021 einen Design Thinking Workshop mit Vertreter*innen aus Stadtverwaltung, Eigentümergesellschaft, Wissenschaft und Zivilgesellschaft durchgeführt, um der Eigentümergesllschaft Hilfestellung in der weiteren gemeinwohlorientierten kooperativen Standort- und Strategieentwicklung an die Hand zu geben, um ins Machen zu kommen. In diesem Workshop wurde eine gemeinsame Zielvorstellung deutlich und daraus resultierende nächste Schritte skizziert.

In der Eigentümergesellschaft wurde im Nachgang des Workshops diese Hilfestellung nicht produktiv aufgenommen, so dass seitdem Unsicherheit im Sinne eines weiteren kooperativen Vorgehens und gemeinsamen Zielen unter den Akteuren herrscht. Zudem steht immer noch eine Entscheidung auf Landesebene zu verschiedenen Anliegen des Innovationsraums aus, die den komplexen Standortentwicklungsprozess Smart Rhino und damit des Stellwerks und geplanter Beteiligungsmaßnahmen bremst. Die Besicherungsgruppe sieht durch diesen Stillstand die Gefahr, dass durch zunehmenden Vandalismus, zunehmende Diebstähle in der Nachbarschaft und fehlende Einsichtigkeit des Geländes das Haus über den Winter 21/22 nicht zu sichern ist sofern es keine Belebung vor Ort gibt.

Vandalismus in Leerständen durch Kabelklau, Beschmierung und Zerstörung sorgen schnell dafür, dass ein Haus nicht mehr nutzbar ist und zur sogenannten Schrottimmobilie wird. Diese Gefahr sehen wir auch im Stellwerk. Seit 2 Jahren steht dieses Gebäude bereits leer. Wir gehen davon aus, dass zukünftige Nutzungsideen und damit verbundene Maßnahmen damit in Gefahr sind, nicht umgesetzt werden zu können. Das ist insoweit bedenklich, da das Beteiligungskonzept „Rhinotopia“ auf die Nutzung des Stellwerks angewiesen ist und die Möglichkeiten des Stellwerks im Kreativquartier Unionviertel gerade den iCapital Award bekommen haben. Die Idee dazu „innovation next door“ wurde im Winter 2021 von der euroopäischen Kommission prämiert.

Rhinotopia meint die „Entwicklung eines Reallabors durch Cross-Innovation und Co-Creation zur Erprobung und Umsetzung vernetzter Konzepte und Governance für zukunftsfähiges Leben, Wohnen, Arbeiten, Forschen, Lernen und Lifestyle im Fokus von Nachhaltigkeit, Digitalisierung und Resilienz am Stellwerk 62.“ (Quelle: www.innovation-next.door.de) „Ein (Gleis-)Stellwerk wird zu einem temporären Experimentier- und Begegnungsraum für bewusstseinsbildende Maßnahmen rund um die Themen ‚Stadt der Zukunft‘ und neue Mitwirkungsmodelle transformiert. Stadtgesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft und Investor entwickeln gemeinsam soziale und technische Innovationen und erproben diese hinsichtlich ihres gesellschaftlichen Nutzens und Anwendbarkeit. So entsteht ein Marktplatz für öffentlichkeitswirksame Aktionen und Austausch sowie eine Keimzelle für kreative Ideen und Produkte.“ (ebd.)

Dortmund kann sich nun Europäische Innovationshauptstadt nennen und ist u.a. mit einigen Projekten im Unionviertel und rund um das Labor für urbane Zukunftfragen und Innovation europäischer Vordenker und Innovationshotspot, aber das Ankündigungen von Projekten reicht uns nicht aus, wir wollen Transformation für die Menschen vor Ort sichtbar und erlebbar machen und ihnen die Möglichkeit geben, sich intensiv zu beteiligen und auch Räume selbst mitzuentwickeln. Deswegen hoffen wir, das wir zum Projektende im März 2022 noch den Startschuss zur Belebung des Stellwerks erleben dürfen und nicht beobachten müssen, wie in unserer Nachbarschaft ein Leerstand wegen Stillstand zum Mahnmal vergebener Chancen wird.

Auf Grund der Aktualität des Themas wird die Dezentrale Im Dezember 2021 eine Veramstaltung dazu durchführen unter dem Motto „Hey Dortmund, was machst Du morgen?“. Aus dem Einladungstext: „Wie sieht die Innovationshauptstadt Dortmund in Zukunft aus? Das weiß niemand, aber jede*r einzelne von uns hat eine eigene Vorstellung davon. Wir alle sind Menschen, die die Entwicklung Dortmunds mitgestalten und die urbane Transformation in unserer Metropolregion vorantreiben können. Gemeinsam kann aus einzelnen Ideen und Vorstellungen ein größeres Ganzes werden.“

 

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